Gestern noch Zukunftsmusik, heute teilweise Realität. Motorisierte Exoskelette, tragbare Robotik, passive Exosuits und „Powered Clothing“. In einigen Branchen ist die Technologie sogar schon Alltag.
Es ist so eine Sache mit Science-Fiction-Filmen: Einerseits möchten wir, dass sie Realität werden – wir denken dabei an die Föderation der Planeten und wie weit die Menschheit in Raumschiff Enterprise gekommen ist – kulturell aber auch räumlich. Wir träumen von überlichtschnellen Raumschiffen, vergessen aber, dass Data-Pads und persönliche Kommunikatoren längst in unserem Alltag angekommen, ja noch viel weiter entwickelt sind, als es sich Captain Kirk in den 1960ern vorstellen konnte.
Stark wie Iron Man: Der "Hacksmith" James Hobson will Filmträume Realität werden lassen – in seiner Garage. (Bild: thehacksmith.ca)
Als Kinder waren wir begeistert, wie David Hasselhoff alias Michael Knight seine Armbanduhr an den Mund hob und „Kitt, Kumpel – ich brauch dich!“ rief. Heute sagen wir unserem Auto, wohin es navigieren soll und vermissen still und heimlich doch den Turbo-Booster. Manchmal hat man das Gefühl, dass nur die „langweiligen“ Sachen Realität werden, wir doch vielleicht doch mehr an lebensechten Androiden oder Warp-Antrieben forschen sollten. Irgendwie.
Dass es auch anders geht, zeigt die Sci-Fi-Horror-Klassiker-Reihe „Alien“, deren erster Teil 1979 in die Kinos kam. So sehr man sich dann doch nicht wünscht, dass genau diese Fiktion Realität wird, so sehr ist sie in einem bestimmten Aspekt schon kurz davor: Motorisierte Exoskelette finden gerade ihren Weg in den industriellen Alltag. Seit einiger Zeit arbeiten Forschung und Industrie an am Körper tragbaren Robotern oder Maschinen, die die Bewegungen des Trägers unterstützen und verstärken, indem zum Beispiel Gelenke des Exoskeletts durch Servomotoren angetrieben werden. Als Ellen Ripley in „Aliens – die Rückkehr“ in den Caterpillar P-5000 Powered Work Loader stieg, um erst den Marines beim Verladen der Ausrüstung zu helfen und dann die Alien-Queen in den Weltraum zu stoßen, fällt auf, dass die Grundüberlegungen für den Einsatz sowohl im Film als auch der Realität nahezu die gleichen sind. Unzureichende menschliche Kraft wird maschinell verstärkt, um Lasten einfach und effektiv zu bewegen.
In der Fertigung und Montage müssen nämlich immer noch viele körperlich belastende Tätigkeiten von Menschen durchgeführt werden: Sei es für Kleinserien oder Prototypen, bei denen die Montage jedes Stücks so individuell ist, dass noch keine Roboter dafür programmiert werden können. Oder sei es, weil sie für Roboter zu komplex sind, nicht zu standardisieren sind oder weil sie menschliche Flexibilität erfordern. Diese Tätigkeiten belasten die Arbeiter jedoch stark – vor allem, wenn sie acht Stunden täglich durchgeführt werden müssen.
Arbeiter in der Produktion und Demontage heben und tragen pro Tag oft mehrere Tonnen Material. Schäden an der Wirbelsäule sind quasi vorprogrammiert und Langzeitleiden die Folge. Das bedeutet nicht nur persönliches Leid für die Arbeiter. Auch für das Gesundheitssystem entstehen hohe Kosten; Arbeitgeber haben Nachteile durch krankheitsbedingte Ausfälle und Frühverrentung sowie unattraktive Arbeitsplätze.
Eine Forsa-Umfrage zeigt, dass der Anteil älter werdender Mitarbeiter in rund 50 % aller Unternehmen zunehmen wird. Im Zuge dieser demografischen Entwicklung tritt für viele Betriebe das Thema Gesundheitsförderung immer mehr in den Vordergrund. Dabei spielen ausgewählte Maßnahmen im Unternehmen, die die Gesundheit der Mitarbeiter fördern, eine zentrale Rolle. Von fünf ausgewählten Maßnahmen stufen 94 % der befragten Unternehmen die ergonomische Arbeitsplatzgestaltung und -ausstattung als (sehr) wichtige Maßnahme ein, um den individuellen Bedürfnissen von Mitarbeitern gerecht zu werden sowie ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu erhalten. Eine dieser ergonomischen Ausstattungen kann das Exoskelett sein – aktiv oder passiv.
Ein Beispiel für passive Exoskelette ist das „Muscular Aiding Tech Exosceleton“, kurz Mate, von Comau. Es wurde entwickelt, um die Arbeitsqualität durch eine kontinuierliche und fortschrittliche Bewegungsunterstützung sowohl bei repetitiven als auch täglichen Aufgaben auf effiziente und ergonomische Weise zu verbessern. Das Exoskelett nutzt eine passive Federstruktur und kommt damit ohne Batterien oder Motoren aus. Durch eine trageleichte, atmungsaktive und effektive Haltungsunterstützung soll Mate jede Bewegung der Schulter nachbilden und dem Körper dabei wie eine zweite Haut passen.
Intelligente Textilien im VR-Handschuh der Firma Haptx enthalten hochverdrängende pneumatischen Stellglieder und eingebettete mikrofluidische Luftkanäle. Die Stellglieder des Handschuhs liefern haptische Rückmeldung, indem sie gegen die Haut des Benutzers drücken. (Bild: Haptx)
Die Vorbeugung von arbeitsbedingten Krankheiten in Anbetracht einer älter werdenden Bevölkerung ist auch der Hauptmotivationsgrund für das Fraunhofer IPA, das Stuttgarter Exo-Jacket zu entwickeln. „Wir wollen den Menschen nicht stärker machen, sondern die Last auf ihn reduzieren“, sagt der Entwickler Tobias Rogge. Das Exo-Jacket ist eine motorisierte Jacke für Logistik- und Montagearbeit mit dem Ziel, Belastungsspitzen an den Armen und der Lendenwirbelsäule zu reduzieren. Die Zielsetzung der Forschung ist zum einen die Entlastung des Armes bei Überkopf-Arbeiten durch eine Balance Funktion, zum anderen die motorisierte Unterstützung für Hebetätigkeiten. Auch wenn die Montur aktuell noch etwa 14 kg wiegt, wird sie schon bald in Pilottests in der Industrie zu sehen sein. Ziel für eine Serienreife sei aber ein Gewicht im einstelligen Kilobereich. Cyberphysische Interaktionsfähigkeit soll die nächste Ausbaustufe sein.
Exoskelett soll bei täglicher Arbeit unterstützen
Ein weiteres reales Beispiel, das dem fiktiven Cargoloader aus dem Alien-Franchise in Form und Funktionalität relativ nahe kommt , ist Hyundais H-Lex. Eigentlich eher eine Weiterentwicklung basierend auf einem früheren Prototyp des Hyundai Lifecaring Exo-Skeleton-Anzuges, den das Unternehmen letztes Jahr vorgestellt hat.
Der wesentlich schwerere und klobigere Anzug konnte Lasten über Kopfhöhe anheben und Gehbehinderten helfen, ihre Beine wieder zu bewegen. Das Lifecaring Exo-Skeleton soll in diesem Fall den Rollstuhl ersetzen. Die neue Version fokussiert vielmehr die Ästhetik des Originals und konzentriert sich gleichzeitig auf Form und Funktionalität. Während die neue Version leichter ist, soll sie rund 100 kg mehr anheben können als das Vormodell. Hyundai hofft, dass ihre H-Lex-Anzüge für die Arbeit in Fabriken und für Behinderte angepasst werden können. Unglücklicherweise ist der Anzug immer noch groß und unhandlich. Das Rückenteil, das den Motor, den Computer und den größten Teil der Robotik beinhaltet, ist im Vergleich zum Rest sehr groß. Tatsächlich sieht es sehr grob aus und möglicherweise fällt man nach hinten um, wenn die Kreiselstabilisatoren nicht mehr laufen. Die Greifer sind krude Zangen, und das System scheint auch eine externe Stromquelle angebunden zu sein. Die Bewegungsfreiheit ist also dadurch eingeschränkt, wie weit das Kabel reicht. Flexibel und agil ist noch anders.
Exoskelette sind keine billige Angelegenheit. Das Exo-Jacket-System kostet, je nach genauer Ausstattung, um die 4000 Euro. In Japan wird, laut dem Wall Street Journal, ein Exoskelett namens „Hal“ der Firma „Cyberdyne“ an Endverbraucher verkauft. Es soll das Tragen schwerer Lasten erleichtern und ist behördlich zugelassen.
Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) sind Muskel- und Skeletterkrankungen für 23 % aller Arbeitsunfähigkeitstage verantwortlich. Sie führen demnach zu geschätzt 10 Milliarden Euro Produktionsausfall pro Jahr. Ursachen für Muskel- und Skeletterkrankungen sieht die BAuA im beruflichen wie privaten Bereich. Vor allem das Tragen und Heben schwerer Lasten spiele dabei eine große Rolle. Bei möglichen Ausfallkosten in dieser Höhe haben Exoskelette ein enormes Potential – der Markt ist gigantisch und bei entsprechender Durchdringung werden die Preise pro Einheit sicherlich schnell fallen.
Ein Exoskelett-Konzept von Noonee arbeitet mit Kleinstmotoren im Akkubetrieb mehrere Tage ohne Aufladen. (Bild: Noonee)
Aktuatoren in einem Exoskelett können noch etwas anderes als Kräfte des Nutzers zu verstärken – und zwar genau das Gegenteil. Er kann gegen die Richtung einer beabsichtigen Bewegung halten, und damit Kräfte neutralisieren. Was die Anwendung für eine im ersten Moment sinnfreie Möglichkeit ist, zeigt das Unternehmen Haptx: Sie glauben, dass der beste Weg, mit der digitalen Welt zu interagieren, die Art und Weise ist, wie mit der realen Welt interagiert wird. Die virtuelle Hand sollte sich wie eine echte Hand verhalten und virtuelle Objekte sollten sich wie reale Objekte anfühlen.
Flexible, silikonbasierte intelligente Textilien im VR-Handschuh der Firma enthalten eine Reihe von hochverdrängenden pneumatischen Stellgliedern und eingebetteten mikrofluidischen Luftkanälen. Die Stellglieder des Handschuhs liefern haptische Rückmeldung, indem sie gegen die Haut des Benutzers drücken und diese so verschieben, wie es ein echtes Objekt bei Berührung tun würde. Hochleistungs-Miniaturventile steuern den Druck jedes Stellglieds so präzise, um eine Vielfalt an Empfindungen zu erzeugen – Textur, Größe, Form, Bewegung und mehr. Eine optionale zweite Schicht von Mikrokanälen kann eine Temperaturrückführung hinzufügen, indem sie Variationen von Warm- und Kaltwasser liefert. Haptx-Handschuhe haben über mehr als 100 Punkte mit taktiler Rückmeldung mit hoher Verdrängung, bis zu 2,5 kg Widerstand pro Finger und eine Bewegungserkennung im Submillimeterbereich. Ein komplettes Exoskelett mit schwebender Aufhängung soll, laut Haptx, folgen.
Eines ist klar – Roboter werden in der Industrie allgegenwärtig und Menschen als einfache Arbeiter seltener. Und diejenigen, die sich noch in der Produktion aufhalten und mitarbeiten, werden mit Exoskeletten in ihrer Arbeit unterstützt und wahrscheinlich per Augmented Reality in den Produktionsprozess eingebunden, um diesen möglichst effizient zu machen und vor allem, um die seltener werdende Ressource Mensch so weit wie möglich zu schonen.
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