Kasse verweigert Pertheswerk-Mitarbeiterin im Rollstuhl Reparatur ihres Handbikes: Sorge um Verlust der Bewegungsfreiheit | Nachrichten aus Kamen auf KamenWeb.de - Onlinemagazin für Kamen

2023-03-08 16:05:54 By : Mr. Kevin Fu

Geschrieben von Redaktion am 20. Oktober 2022. Veröffentlicht in Lokalnachrichten

Anne Friese-Hendriks mit ihrem adaptiven Handy-Bike, das ihr mehr Freiheit bietet, als jeder Elektro-Rollstuhl. Noch fährt es, wenn auch mit einigen Macken - die Frage ist nur: wie lange noch? Foto: Alex Grün für KamenWeb.de

Kamen. Eine clevere Erfindung ermöglicht Anne Friese-Hendriks trotz ihrer Gebundenheit an den Rollstuhl ein hohes Maß an Bewegungsfreiheit: ihr Handbike, mit dem sie, wenn es nicht gerade wie aus Kübeln schüttet, nicht nur ihren täglichen Arbeitsweg von Unna-Mitte nach Kamen bewältigt, sondern auch einkauft, Freunde besucht oder auch schon mal eine sportliche Runde dreht - so wie es der Arzt aufgrund ihrer Erkrankung verordnet. Seit fünf Jahren ist sie mit der Konstruktion unterwegs und hochzufrieden. Doch jetzt muss die 45-Jährige um dieses große Stück Freiheit fürchten - offenbar aufgrund von Formalitäten.

Seit ihrer Kindheit leidet Anne Friese-Hendriks an der seltenen Hereditären Spastischen Paraplegie (HSP), bei der ein defektes Gen zum Anstieg bestimmter Stoffwechselprodukte, die Nervenzellen im Hirn zerstören. Wie alle betroffenen Patienten - bundesweit leiden darunter rund 4000 Menschen - verlor auch die Unnaerin dadurch die Fähigkeit zu laufen. HSP ist bis heute nicht heilbar, auch Therapiemöglichkeiten gibt es kaum. Dafür gibt es andere Mittel, der zweifachen Mutter trotz Rollstuhl ein weitgehend unabhängiges Leben zu ermöglichen. Das wichtigste ist ihr Adaptivbike, das aus einem handelsüblichen Rollstuhl mit wenigen Handgriffen ein handbetriebenes Fahrrad macht. Die Konstruktion besteht aus einer Radgabel mit Lenker, über welchen mittels einer rasch installierbaren, starren Verbindung mit dem normalen Rollstuhl durch Kurbelbewegungen aus dem Sitzen heraus die Kettenschaltung angesteuert wird. Unterstützt wird das "Rollstuhl-Bike", das über 24 Gänge verfügt, von einem Elektromotor. 24 Kilometer fährt sie mit der Konstruktion fast täglich von Unna nach Kamen und zurück. In der Weststraße kümmert sie sich um die Kunden des Ambulant Betreuten Wohnens des Pertheswerkes. Je nach Verkehrslage brauche sie dafür 20 bis 30 Minuten, bis zu 40 "Sachen" erreiche sie in voller Fahrt. "Aber auch sonst", sagt sie, "erledige ich alles damit", auch ein medizinisch verordnetes Sportprogramm von dreimal 20 Kilometern, sowie Einkaufsfahrten oder Konzertbesuche.

Sie kann sich ein Leben ohne ihr Handbike, das ganz nebenbei auch ebenso kinderleicht zu montieren, wie zu verstauen ist, mittlerweile nicht mehr vorstellen. Doch nach fünf Jahren machen sich allmählich Verschleißerscheinungen bemerkbar, nicht nur in Form vereinzelter Roststellen, sondern auch bei der Mechanik - was mitunter gefährlich werden kann. Aufgrund eines schief hängenden Ausgleichsgewichts etwa ziehe die Konstruktion während der Fahrt ständig linkswärts, was "tierisch in die Arme geht", wie sie sagt. Einmal sei ihr fast der Bremszug gerissen, woraufhin sie nur mit äußerster Vorsicht bergab fahren konnte. Sie habe daraufhin tatsächlich keine Fahrradwerkstatt gefunden, die ihr weiterhalf, wundert sich die Rollstuhlfahrerin - ein Bekannter, der sich aufs Schrauben versteht, musste dies übernehmen. "Offenbar trauen sich die Werkstätten nicht an diese Geräte dran", vermutet Anne Friese-Hendriks. Das ist aber noch lange nicht ihr größtes Problem. Denn die für sie zuständige Allgemeine Ortskrankenkasse bewilligt ihr keine Reparaturkostenübernahme für ihr Bike. Im Ablehnungsbescheid vom Juli 2022 heißt es, der Medizinische Dienst der AOK Nordwest habe mit Verweis auf die aktuellen gesetzlichen Regelungen mitgeteilt, dass "die Voraussetzungen für die Reparatur des Handbikes aus sozialmedizinischer Sicht nicht gegeben sind".

Mit den alternativen Angeboten seitens der Kasse kann die 45-Jährige wenig anfangen. Statt der Übernahme anfallender Reparaturkosten habe man ihr jetzt einen Elektrorollstuhl mit Joystick-Steuerung angeboten, berichtet Anne Friese-Hendriks. Mit einem solchen Gefährt, das viel teurer wäre, als die Anschaffung eines komplett neuen Adaptiv-Bikes, wäre sie aber auf den Linienverkehr angewiesen, was für Rollstuhlfahrer, wie sie aus Erfahrung weiß, nicht gerade komfortabel ist. Alternativ könne sie sich auch die Taxifahrten zur Arbeit erstatten lassen. Aber erstens könne sie dann weder zum Einkaufen fahren, noch private Besuche unternehmen. Und zweitens würden die täglichen Taxifahrten die Kasse auf Dauer natürlich ungleich mehr kosten, als gelegentliche Reparaturen an ihrem bewährten Vehikel - "seltsame Logik", sagt die Handbikerin, die mittlerweile den dritten Widerspruch gegen den Bescheid der AOK Westfalen-Lippe eingelegt hat. Eventuell könnte ihr bei ihrem nächsten Widerspruch eine Verschreibung ihres Arztes helfen. Denn wenn der tägliche Gebrauch des Hand-Bikes im Rahmen eines Therapieplans eingebunden sei, wäre die Übernahme der entstehenden Reparaturkosten durchaus möglich, wie ein Sachbearbeiter der zuständigen AOK-Zweigstelle erklärt. Normales Radfahren ohne Therapieplan zähle hingegen nicht in den Bereich der Grundbedürfnissen, wie etwa die Erschließung des Nahbereichs. Da Anne Friese-Hendriks jedoch nur eine Verschreibung über dreimal wöchentlichen Sport mit ihrem Gerät hat, seien die Voraussetzungen für die Kostenübernahme nicht gegeben.

Und so bleibt der Power-Frau aus Unna, die sich von ihrer körperlichen Beeinträchtigung weder Lebenslust noch Freiheit nehmen lassen will, also erst einmal nur die Hoffnung, dass ihr Handbike noch möglichst lange funktionsfähig bleibt.

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