Es war seine 670. Ballonfahrt, mit der Jan Fencik aus Vollrathsruhe seinen Fahrgästen wieder ein unvergessliches Erlebnis beschert hat. Einer Frau allerdings dieses Mal ganz besonders: Mit Susanne Rümker flog zum ersten Mal ein Mensch im Rollstuhl bei Ballonführer Fencik mit und genoss den Über-Blick auf die Seenplatten-Landschaft.
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Um das zu ermöglichen, hatte Jan Fencik sein Equipment extra umgerüstet. Auf Bedarf lässt sich nun ein verstellbarer Sitz integrieren, in dem ein Rollstuhlfahrer sicher Platz findet. Den besonderen Korb trägt dazu eine neue Ballonhülle, die mit ihren immerhin 260 Kilo weit mehr wiegt als die alte. Um die schwere Hülle transportieren zu können, brauchte der Korb zusätzlich Räder. Außerdem weist er jetzt eine Tür für den gehandicapten Gast auf, unversehrte Zweibeiner mussten sich sonst sportlich über den Rand schwingen.
An diesem Nebelmorgen in den Duckower Wiesen bei Malchin sind alle Fahrgäste und selbst der Gastgeber noch etwas skeptisch ob dieser ungewöhnlichen Premiere. Nicht nur, dass der dichte Dunst ringsum am späteren Weitblick zweifeln lässt. Wird denn auch alles klappen mit dem Transfer vom Rollstuhl ins Ballongefährt?
Aufregung und Vorfreude spiegeln sich auch im Gesicht von Susanne Rümker, die das Geschehen im Rollstuhl verfolgt. Die 38-Jährige aus Seedorf am Malchiner See ist seit einem Motorradunfall querschnittsgelähmt. Nie hätte sie gedacht, einmal eine Ballonfahrt erleben zu dürfen. Ihre Mutter Heidi Boldt ist gewissermaßen der „Hauptsponsor“. „Ich habe im Nordkurier von der Möglichkeit gelesen, dass man jetzt auch mit dem Rollstuhl Ballonfahren kann. Also hat die ganze Familie zusammengelegt und Susanne das Geburtstagsgeschenk gemacht“, erzählt die Gielowerin.
Und noch ein Jubilar ist mit von der Partie: Guido Granzow. Gerade am Vorabend ist er ebenfalls 38 geworden und hat den Flug von seiner Freundin geschenkt bekommen. „Eine tolle Überraschung!“, findet der Klinker, weil er sich das schon immer gewünscht habe. Seine Liebste steigt allerdings nicht mit in die Gondel, auch Heidi Boldt nicht – die Höhenangst überwiegt. Stattdessen begleiten Vater Sieghart Boldt und Schwester Christine Baumann die glückliche Rollstuhl- und nun auch Ballonfahrerin.
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Angst löst sich in Luft auf wie der Nebel, als schließlich alle gut verstaut sind und die Erde über den Wolken rasch kleiner wird. „Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man, bleiben darunter verborgen“, bringt sich Reinhard Meys Ohrwurm "Über den Wolken” in Erinnerung. Und wirklich: Derart von allem enthoben, schrumpft die Schwere des Alltags zusammen, und die Gedanken sind frei. Die Morgensonne bricht sich strahlend Bahn und beleuchtet die wattige Wolkendecke.
Still ist es hier oben, und erstaunlich warm. Auch die Mitreisenden sind ganz still vor Staunen, Genuss und Respekt. Bis in mittlerweile 1300 Meter Höhe klettern nur noch ganz deutlich irdische Geräusche wie Hundegebell. „Herrlich, hier oben meckert keiner“, freut sich Christine Baumann.
Als von der dichten Nebelwolkendecke nur noch ein paar Flöckchen übrig sind, sieht man, warum die Seenplatte ihren Namen trägt: überall Wasser! Am nordöstlichen Horizont schlängelt sich der Zipfel des Kummerower Sees; klein wie eine Pfütze unterm Schatten des Ballons erwachen der Malchiner und der Rittermannshäger See; im Westen, das muss der Plauer See sein und den Süden zeigt die Müritz an. Dazwischen die kleinen Einsprengsel der letzten Eiszeit, die Sölle. Von hier oben erkennt man gut, warum sie „Augen der Landschaft“ heißen. Manche sind leider geschlossen, weil sie zu trocken sind.
Als das Gefährt bereits langsam an Höhe verliert, erkennt man noch mehr. In der Spur eines Feldes zeigt ein Hirsch majestätisch seine Bahn. Die beackerte Landschaft wird zum Ornament. Jägerhochsitze scheinen aus Streichhölzern gebaut. „Man möchte sie wie Kinderspielzeug umsetzen“, sagt die ebenfalls mitreisende Ulla Konold. Sie hat bereits die bizarre Welt Kappadokiens in der Türkei auf diese sanfte Reiseart genossen, kann aber jeder Landschaft, auch der Seenplatte, ihren besonderen Reiz abgewinnen.
Die Landung naht: Jan Fencik mahnt, sich an den Schlaufen am Korbrand festzuhalten, und die Knie leicht anzuwinkeln. Die Landung naht. Das Spannende an so einer Ballonfahrt ist ja auch, dass man nie genau weiß, wo sie endet. So brauche man auch nur für den Startplatz eine Erlaubnis, nirgends für die Landung. Diese Landung mitten in einem noch blühenden Rapsfeld bei Vielist gerät unsanft. Mehrfach schaukelt der Korb hoch und runter, um schließlich auf der Seite liegen zu bleiben.
Als der Korb alle beglückten Himmelsfahrer wieder der Erde freigibt und diese etwas wankend Fuß zu fassen suchen, muss Susanne Rümker noch festgeschnallt liegend warten. Doch freudestrahlend hebt sie den Daumen. Und, was war das Schönste? „Die absolute Stille!”