Sportsgeist trifft auf Rennfieber trifft auf Handicap: Beim Cybathlon zeigen Mensch & Technik, wie Barrieren überwunden werden. Wie Faulhaber mit leistungsstarken Motoren einen Rollstuhl weiterentwickelt und damit schließlich Gold geholt wird.
Der Pilot des Rennfahrzeugs, der seit einem Motorradunfall querschnittsgelähmte Florian Hauser, ist ein ehrgeiziger Sportler, der beim Training und im Rennen alles gibt. - (Bild: Faulhaber)
Die Motoren röhren nicht, und das Tempo ist auch etwas langsamer. Davon abgesehen gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen der Formel 1 und dem Cybathlon: Der Fahrer steuert einen Hightech-Boliden, der von einem Team aus hochkarätigen Spezialisten ständig weiter optimiert wird. Pilot Florian Hauser und die Ingenieurstruppe von HSR enhanced haben in dieser Verbindung schon Goldmedaillen gewonnen. Der sportliche Wettbewerb dient hier auch der Weiterentwicklung der Technik – im Dienste von Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Faulhaber ist an Bord – mit Hochleistungsmotoren im Rollstuhl sowie als Sponsor des HSR-Teams.
Der erste Cybathlon wurde 2016 in Zürich ausgerichtet. "Wir haben ziemlich spät davon erfahren", erinnert sich Prof. Dr. Christian Bermes vom Institut für Laborautomation und Mechatronik der Hochschule für Technik Rapperswil (HSR). "Es blieben uns gerade mal zehn Monate, um aus dem Nichts einen wettbewerbsfähigen Rollstuhl zu entwickeln. Aber die Aufgabe war reizvoll, die technische Herausforderung ausgesprochen interessant."
Das Hochschulteam, das sich dann schnell zusammenfand, war von Anfang an hochmotiviert. Gleich beim ersten Anlauf holte es sich dann auch Platz eins in der Kategorie Powered Wheelchair Race. Dort treten Piloten mit einer schweren Gehbehinderung in einem motorisierten Rollstuhl an. Die Fahrzeuge müssen in der Lage sein, Hindernisse wie Treppen, Rampen und unebenen Untergrund zu überwinden und sind dafür mit verschiedenen Zusatzfunktionen ausgestattet.
Der Wettbewerb mit seinen insgesamt sechs Disziplinen wird wie die Olympischen Spiele alle vier Jahre ausgetragen. Dazwischen gibt es aber jährlich im Rahmen von Fachmessen Rennen in einzelnen Kategorien. Bei den Cybathlon Wheelchair Series im japanischen Kawasaki holte sich HSR enhanced 2019 wieder Gold. Im nächsten Cybathlon, der dieses Jahr in der Schweiz stattfinden wird, treten die Rapperswiler in ihrer Disziplin also als Favoriten an. Sie können sich aber nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen – und das nicht nur wegen der starken Konkurrenz. Wie im Motorsport reagiert die Regelsetzung auf den technischen Fortschritt, und die Messlatte wird ständig höhergelegt.
"In Zürich waren nur drei Treppenstufen zu bewältigen", erinnert sich Prof. Bermes. "In Kawasaki waren es schon sechs. Die Tür durfte dort nicht mehr vom Fahrer selbst, sondern nur von einem Roboterarm geöffnet und nach der Durchfahrt wieder geschlossen werden." Die einzelnen Aufgaben enthalten schon beträchtliche technische Herausforderungen. Für das Treppensteigen etwa haben die verschiedenen Teilnehmerteams ganz unterschiedliche Ansätze entwickelt. Einige von ihnen setzen zum Beispiel auf Raupen, die auch die Fortbewegung auf flachem Untergrund bewältigen. HSR enhanced verwendet dagegen ein hybrides Antriebskonzept mit Raupen für die Treppe und einzeln lenkbaren Rädern, die den Rollstuhl sehr wendig machen, für alle anderen Hindernisse.
Für die Treppe gibt es das absenkbare Zusatzmodul 'Herkules' unter dem Fahrgestell, das den Rollstuhl für die Treppe von einem Rad- in ein Raupenfahrzeug verwandelt. Damit der Pilot auch in der Schräglage sicher sitzt, wird der Fahrersitz und mit ihm der Schwerpunkt verschoben. Die Verlagerung hat zudem Einfluss auf die Traktion und damit auf das Fahrverhalten. Sie kommt dem Fahrer auch in Alltagssituationen entgegen: Ist der Sitz vorn, sind seine Füße unten, und er kann bequem an einen Tisch heranfahren. In der hinteren Position – der Standard für die Fahrt auf ebenem Untergrund – liegen die Beine oben und sind ausgestreckt, was die Kombination aus Pilot und Rollstuhl kürzer und kompakter macht.
Motoren von Faulhaber kommen im Treppenmodul, bei der Sitzverstellung und bei der Einzelradlenkung zum Einsatz. Für die Absenkung des 'Herkules' werden zwei leistungsstarke bürstenbehaftete Motoren verwendet, die das Gesamtgewicht von rund 180 kg, von den Rädern auf die Raupen heben. Der gleiche Motortyp, hier mit Getriebe und Spindel versehen, verschiebt auch den Sitz. Für die Lenkbewegung der Räder sorgen vier bürstenlose Motoren der BXT-Serie mit passivem Getriebe. Sie erreichen dank ihrer innovativen Wicklungstechnik und optimierten Auslegung ein besonders hohen Drehmoment. Ihre Leistung und ihr Wirkungsgrad übertreffen deutlich andere Motoren vergleichbarer Größe. Mit einer Drehzahl von bis zu 10.000 U/min können sie die Lenkbewegung praktisch verzögerungsfrei umsetzen. Ihre standardmäßig integrierten digitalen Hallsensoren können für eine sehr präzise Drehzahlregelung genutzt werden.
"Die Motoren müssen ziemlich extreme Anforderungen erfüllen", sagt Prof. Bermes. "Im und am Rollstuhl können wir keine klobigen Teile gebrauchen, wir versuchen also die Ausmaße der Module grundsätzlich zu minimieren. Das gleiche gilt natürlich für das Gewicht – jedes Gramm weniger macht das Fahrzeug beweglicher und besser zu handhaben. Außerdem wollen wir keine Akkuleistung verschwenden, weshalb wir bei den Antrieben den höchstmöglichen Wirkungsgrad haben wollen. Die Motoren von Faulhaber bieten hier einfach die beste Technologie."
Die Arbeit am Cybathlon-Boliden ist natürlich auch ein ingenieurwissenschaftliches Projekt. Das Rapperswiler Institut für Laborautomation und Mechatronik beschäftigt sich mit angewandter Forschung. Das Zusammenspiel von Elektronik und Mechanik, von Soft- und Hardware ist dort ein wesentlicher Schwerpunkt. Man arbeitet dabei eng mit Unternehmen sowie dem schweizerischen Forschungs- und Entwicklungsverbund Innosuisse zusammen.
Der Wettbewerb ist quasi der Praxis-Härtetest für die neuentwickelten Technologien. "Insgesamt sind über alle Kategorien rund hundert Teams aus der ganzen Welt beteiligt. Da kommt eine enorme Entwicklungsleistung zusammen, von der nicht zuletzt Menschen mit Behinderung profitieren", betont Prof. Bermes. "Das komplexe Zusammenspiel der Module lässt sich aber auch auf andere Bereiche übertragen, wie zum Beispiel Automation und Robotik."
Mit dem benutzerfreundlich umgesetzten Drive Selection Tool lassen sich dank intelligenter Filter online genau die Faulhaber-Antriebssysteme ermitteln, die für bestimmte Projekte benötigt werden – und dann gleich gezielt anfragen. Lesen Sie, wie einfach das funktioniert.
Bei der Vorbereitung auf das jeweils nächste Rennen kommt zum technischen Anspruch noch ein entscheidender Faktor hinzu: Sportsgeist. Teamleiter Bermes selbst bezeichnet sich als sportbegeistert. Der Pilot des Rennfahrzeugs, der seit einem Motorradunfall querschnittsgelähmte Florian Hauser, ist ein ehrgeiziger Sportler, der beim Training und im Rennen alles gibt. Derselbe Geist herrscht im Team aus Bachelor- und Master-Studierenden und Ingenieuren. Sie alle wollen gewinnen!
Und beim Rennen fiebern alle mit, denn nach dem Startsignal können die Techniker nicht mehr eingreifen, betont Prof. Bermes: "Es ist wie in der Formel 1: Wir versuchen die technischen Möglichkeiten komplett auszureizen. Zugleich muss das Material sehr robust und zuverlässig sein, damit es den schwierigen Parcours sicher bewältigen und das Rennen durchhalten kann. Wenn wir gut gearbeitet haben, liefern wir die Voraussetzungen für einen Erfolg. Während der Fahrt ist es dann aber ausschließlich der Pilot, der die Leistung auf die Straße bringt – um im motorsportlichen Bild zu bleiben. Mit Florian haben wir dafür den perfekten Piloten im Cockpit."
Die COVID-19 Pandemie macht auch vor dem Cybathlon nicht halt. Der Wettbewerb, der ursprünglich im Mai 2020 stattfinden sollte, wurde Corona-bedingt auf den 13. und 14. November 2020 verschoben. Zudem findet der Wettbewerb nicht mehr an der ETH Zürich statt, sondern als Cybathlon 2020 Global Edition dort, wo die Teams ansässig sind. Dafür stellen diese die Infrastruktur selbst auf, starten unter Aufsicht von Cybathlon-Offiziellen einzeln statt nebeneinander und filmen ihre Rennen. Von Zürich aus werden die Wettkämpfe dann auf einer neuen Plattform als Live-Event übertragen. Pilotinnen und Piloten zeigen, was sie gemeinsam mit ihren Entwicklungsteams im vergangenen Jahr erreicht haben. Den Zuschauern bietet sich so trotz Corona ein Wettkampferlebnis. Nur eben virtuell auf dem Bildschirm statt live vor Ort.
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