Für Rollis kein Reinkommen

2023-03-08 16:43:31 By : Ms. Jenny Yu

Kurt Lotz ist 65 Jahre alt und nach einem Schlaganfall auf den Rollstuhl angewiesen. Und als Rolli-Fahrer bleibt ihm in Laubach der Zugang zu vielen Geschäften und Lokalen verwehrt - ein Desaster.

Laubach. Selbst 14 Jahre nach der Unterzeichnung der auch für Deutschland verbindlichen UN-Behindertenrechtskonvention hapert es allerorten nach wie vor an der Umsetzung. Barrierefreiheit, will heißen umfassender Zugang und uneingeschränkte Nutzung aller Lebensbereiche, ist vor allem in kleineren Kommunen ein Wunschtraum und nicht gelebte Wirklichkeit - da bildet auch Laubach keine Ausnahme.

»Meist sind es nur wenige Zentimeter oder für nicht Behinderte ganz banale Dinge, die einen großen, entmutigend negativen Einfluss auf mein Leben haben. Hohe Bordsteinkanten, abschüssige Straßen, unebene Gehwege oder gar Kopfsteinpflaster, Treppen oder zu steile Rampen verwehren uns Rollis den Zugang. Kaum ein Geschäft oder Restaurant in Laubach ist ohne fremde Hilfe erreichbar, wenn überhaupt.

Der Marktplatz ist für Rollis ein einziges Desaster, das Schlimmste aber ist das Fehlen einer öffentlichen Behinderten-Toilette«, beschwert sich aufgebracht der 65-jährige Laubacher Rollstuhlfahrer Kurt Lotz, der sich nur in Begleitung seiner Frau Ute nach draußen wagt.

Eine vorbildliche Ausnahme bildet da nur das Laubacher Rathaus mit seinem Aufzug und Behindertenparkplätze direkt im Hof, ebenso sind beide Schwimmbäder weitgehend barrierefrei.

Lotz saß nicht immer im Rollstuhl, früher war er für Rewe deutschlandweit unterwegs, danach Geschäftsführer bei Toom in Gießen und in den Jahren vor seiner Rente schließlich in der Kölner Zentrale tätig. Die letzten Jahre quälten ihn Drehschwindelattacken, die ihn durch einen Fall in die Kreissäge zwei Finger kosteten und dann drei Wochen vor der Rente schlug das Schicksal erneut erbarmungslos zu:

Ein Schlaganfall lähmte seine rechte Seite. Da sein Herz extrem schwach war, wurden fünf Stents eingesetzt und er landete von heute auf morgen im Rollstuhl.

Auf eigene Kosten, 3500 Euro waren fällig, ließ er, um mit 74 Zentimeter Breite in ein normales Auto zu kommen, einen Motor anbauen und kann jetzt elektrisch herumrollen. Auch sein Haus musste behindertengerecht umgebaut werden, doch er muss seitdem auf vieles verzichten.

Will Lotz als Rolli-Fahrer Essen gehen, ist das in Laubach nahezu unmöglich. Fragen sich normale Menschen als Erstes, nach was ihnen der Sinn steht, italienisch, türkisch, griechisch oder doch deutsche Hausmannskost und dann in welches Lokal, ist es für Lotz heute genau andersherum. »Die entscheidende Frage ist, wo komme ich überhaupt rein, ist das WC mit einem Rollstuhl erreichbar und sind die Tische hoch genug, um mit dem Rolli drunter zu fahren.«

Bei den Lokalen »Seligmacherei«, »Alt Laubach« und der »Pizzeria Sonne« verhindert eine unüberwindbare Außentreppe das Betreten, in der Gaststätte »Zur Eule« und im »Hessenbrückenhammer« ist das WC im ersten Stock nur über Treppen zu erreichen. In der »Dampflock« gibt es zwar eine Rampe und das WC ist ebenerdig, aber die Türen sind zu schmal für einen Rollstuhl. Bleibt als einzig machbare Alternative nur das »Landhotel Waldhaus« übrig, in dem zwar auch eine einzelne Stufe zum WC existiert, die aber mit Hilfe im Rolli zu überwinden ist.

»Ich fühle mich vom sozialen Leben ausgeschlossen«, konstatiert Lotz wütend und seine Frau erzählt von Schotten. »Wir waren in einem Gartenlokal, als mein Mann ein dringendes Bedürfnis verspürte. Das WC im ersten Stock war nicht erreichbar, also Beine zusammenkneifen und auf zum gegenüber liegenden Rossmann. Doch da war der Bürgersteig zu hoch - im Eiltempo ging es dann die Straße entlang zur Bushaltestelle mit abgesenktem Bürgersteig, von dort aus zurück zu Rossmann und zum Schluss den ganzen Weg wieder retour ins Lokal - entwürdigend, oder?«

Wenn man allerdings mitten in Laubach mal dringend für kleine Königstiger muss, ist man verloren. »Es gibt kein öffentliches WC, Lokale haben kein für Behinderte geeignetes WC, der Netto kein Kunden-WC und lässt selbst Behinderte nicht auf das Beschäftigten-WC«.

Das brachte Lotz auf die Idee, am Eingang des Bistros »Auszeit«, das sich im Erdgeschoss eines ihm gehörenden Hauses in der Langgasse befindet, eine abgerundete, feste Rampe anbauen zu lassen, Kostenpunkt rund 10 000 Euro. Doch die Stadt Laubach wollte keinen Cent zuschießen.

Trotzdem tut sich was in Laubach. Das Laubacher Stadtparlament hat im Juli 2022 den Ankauf des ehemaligen »Nahkauf« am Marktplatz nahe dem Engelsbrunnen beschlossen.

Hier wird bis Ende 2023 auf einer Fläche von 600 Quadratmetern ein Kultur- und Begegnungszentrum entstehen. Im Zuge des Umbaus wird im Erdgeschoss auch ein öffentliches, behindertengerechtes WC installiert, das unabhängig vom übrigen Gebäude von der Seite her immer geöffnet sein wird.

»Der Kaufpreis des Gebäudes war mit 160 000 Euro günstig, der Umbau fällt mit den veranschlagten 155 000 Euro überschaubar aus, so dass mit den Fördermitteln in Höhe von 250 000 Euro nur etwa 100 000 Euro an der Stadt Laubach hängen bleiben«, erklärt Bürgermeister Matthias Meyer und schiebt nach: »Auch bei der ins Auge gefassten Umgestaltung unseres Marktplatzes haben wir die Barrierefreiheit nicht vergessen. Rund um den Marktplatz ist ein Streifen mit flachen Steinen geplant, wo Rollstuhlfahrer, aber auch ältere Leute mit Rollator, problemlos unterwegs sein können. Leider haben die Stadtverordneten nur einer kleinen Lösung zugestimmt, die Langgasse wird nicht mit einbezogen«. Zusammen mit dem Seniorenbeirat werde aber über einen barrierefreien Komfort-Wanderweg mit Bänken nachgedacht.

Für die Rampe am »Auszeit« allerdings seien keine Fördergelder möglich, die gäbe es vom Land für Privatleute nur in Kommunen unter 3000 Einwohnern, bedauert Meyer und bekräftigt hoffnungsvoll in die Zukunft schauend: »Beim Thema Inklusion ist nun auch der Seniorenbeirat aktiv mit involviert, der im Augenblick die Gegebenheiten in den Ortsteilen genauer unter die Lupe nimmt. Erst wenn alle Infos zusammen sind, werden konkrete Aktionen folgen. Wir sind auf einem guten Weg«.