Flughafen Frankfurt: Rollstuhl in den USA vergessen - Kundin rechnet mit Lufthansa ab

2023-03-08 16:34:06 By : Mr. Shuwen Zheng

Sandra Olbrich ist wütend auf die Lufthansa. Auf einem Flug nach Frankfurt wurde ihr Rollstuhl nicht verladen. Der Umgang mit dem Fall zeigt mehrere Probleme auf. 

Frankfurt/Denver - Fast drei Wochen ist Sandra Olbrich nun schon aus den USA zurück – und auch der letzte Rest Jetlag ist inzwischen verschwunden. Was aber bleibt, sind Ärger und das Unverständnis über das, was ihr nach dem Rückflug mit der Lufthansa widerfahren ist, wie man ihr im Telefongespräch anmerkt. Am 28. August gegen 12 Uhr landete die 53-jährige Journalistin und Moderatorin am Flughafen Frankfurt und musste dort feststellen: Ihr Rollstuhl war in Denver stehen geblieben.

Vorgestellt hatte sich Olbrich, die eine Gehbehinderung hat, ihre Rückkehr von der Urlaubsrundreise mit der Familie natürlich ganz anders. Überrascht über die sich anbahnende Misere war sie aber nicht. „Die Regel ist, dass barrierefreies Reisen nicht reibungslos klappt“, sagt sie, die häufig ähnliche Geschichten von behinderten Menschen aus ihrem privaten und beruflichen Umfeld hört. Das gelte nicht nur für die Lufthansa oder den Flugverkehr, sondern beispielsweise auch für die Bahn.

Nun ist es aber die in Frankfurt ansässige Lufthansa, von der die Rollstuhlfahrerin enttäuscht ist. Des essenziellen Hilfsmittels beraubt, saß Olbrich zwei Tage lang in ihrer Wohnung in Karlsruhe fest, wie sie auf Twitter tausenden Interessierten schilderte. Würde sie die teure Maßanfertigung zurückbekommen? Wenn ja, wann? Und wie? Das wusste niemand. Vergeblich habe sie sich durch die Hotlines der Fluggesellschaft telefoniert, deren Kommunikation die Moderatorin eine „Zumutung“ nennt.

Begonnen hatten die Probleme bereits, als der Flieger in Frankfurt aufsetzte. „45 Minuten saß ich in der offenen Flugzeugtür, bis klar war, dass der Rollstuhl noch in Denver ist“, erzählt Olbrich. „Ich habe mich absolut gedemütigt und ohnmächtig gefühlt.“ Die Lufthansa verstoße gegen europäisches Recht, sagt sie. Konkret: Gegen EU-Verordnung 1107 von 2006, die sicherstellen soll, dass Menschen mit eingeschränkter Mobilität auf Flugreisen angemessene Hilfe bekommen und nicht diskriminiert werden.

Die EU-Regelung ist natürlich auch der Lufthansa bekannt. Man sorge „durch interne Prozesse für die Einhaltung und Umsetzung“, schreibt Deutschlands größte Fluggesellschaft auf die Frage hin, wer sich unternehmensintern um die Belange behinderter Fluggäste kümmere. Je nach Thema seien „verschiedene Fachabteilungen mit der Umsetzung“ der Richtlinien befasst. Eine Sensibilisierung für die Bedarfe behinderter Fluggäste sei „fester Bestandteil des Trainings für unsere Mitarbeitenden“.

Gemerkt hat Sandra Olbrich von diesen Versprechungen wenig. Sie hat den Eindruck gewonnen, dass bei der Lufthansa eben nicht klar ist, was es für einen Menschen, der auf den Rollstuhl angewiesen ist, bedeutet, diesen zu verlieren – und sei es nur für einige Tage. Ihr Rollstuhl sei perfekt auf sie angepasst und tausende Euro wert. Ihn zu bekommen, sei aufwendig gewesen, habe eine Ewigkeit gedauert, schildert die 53-Jährige. „Ein Verlust wäre eine Katastrophe“. Ihr Rollstuhl sei quasi unersetzlich.

Der Rollstuhl bedeutet für Olbrich Freiheit. Das zu verstehen ist wichtig, um zu verstehen, warum Olbrich den Verlust eben nicht als bedauerlichen Fehler infolge der Corona-Nachwehen abtun kann. Nimmt man ihr den Rollstuhl, nimmt man ihr die Freiheit. Dass sie sich nach ihrer verkorksten Ankunft in Frankfurt stundenlang in einem „miesen“ Ersatzrollstuhl an der Stelle für Fundsachen anstellen musste, als sei bloß ein Koffer mit Socken und Handtüchern abhandengekommen, erscheint da wie ein Hohn.

Die Lufthansa behandelt Rollstühle eigenen Angaben nach als sogenanntes „Priority-Gepäck, das bevorzugt ver- und entladen wird“. In der Kabine mitfliegen dürfen die Mobilitätshilfen nicht. Sie seien „zu groß und zu schwer“, einige seien nicht faltbar, andere würden die Gewichtslimits überschreiten. Im Fliegerinnenraum gebe es deshalb „keinen adäquaten Stauraum“, heißt es dazu auf Anfrage. Olbrichs Rollstuhl hätte also mit den Reisekoffern und Taschen im Frachtraum landen sollen.

Wie es dazu kam, dass der Rollstuhl in Denver gar nicht erst an Bord gelangte, ist bis heute unklar. Die Lufthansa schreibt auf Anfrage, aus datenschutzrechtlichen Gründen könne man sich nicht konkret zum Fall von Sandra Olbrich äußern. Auf der öffentlichen Plattform Twitter wurde die Behindertenaktivistin selbst mit ihrer Kritik lediglich ans Gepäckteam verwiesen. „Ein Rollstuhl ist kein einfaches Gepäckstück, sondern ein lebenswichtiges Hilfsmittel“, stellt sie dazu klar.

Dass die USA in Sachen Barrierefreiheit schon ein gutes Stück weiter sind als Deutschland, hat nicht nur Sandra Olbrich auf ihrer vierwöchigen Reise durch die amerikanische Wüste gemerkt – die mit Rollstuhl problemlos klappte. Seit Ende 2018 sind Fluggesellschaften in den Vereinigten Staaten verpflichtet, Daten zu Beschädigungen oder Verlusten von Rollstühlen zu erheben. Wie die Washington Post berichtet, fanden seither über 15.400 Fälle ihren Weg in die Statistik.

Dem Bericht zufolge wurden bei den amerikanischen Fluggesellschaften fast 1,5 Prozent aller Mobilitätshilfen, die als Ladung transportiert wurden, verloren oder beschädigt. Die Krise der Flugreisebranche durch die Corona-Pandemie dürfte diese Zahlen sogar erheblich gedrückt haben. Allein 2019 kamen laut Washington Post nämlich schon rund 10.500 solcher Fälle zusammen – das machte in diesem Jahr etwa 29 am Tag.

In Deutschland müssen die Betroffenen die Fälle, in denen mutmaßlich gegen EU-Verordnung 1107 verstoßen wurde, hingegen selbst beim Luftfahrt-Bundesamt anzeigen. Zwischen 2019 und 2021 gingen dort 25 Beschwerden von Fluggästen mit eingeschränkter Mobilität ein. Nach Rollstuhl-Verlusten oder -Beschädigungen wird nicht aufgeschlüsselt. Die Diskrepanz zwischen Fluggastaufkommen und Beschwerden sei auffällig, räumt eine Behördensprecherin ein. Auch sie verweist in Sachen Rollstühlen aber auf die Zahlen zu Gepäckverlusten. (ag)

Danach gefragt, wie man zu dieser Kritik steht, verweist die Lufthansa auf den „Priority-Gepäck“-Status von Rollstühlen und einen – im Flugbusiness allgemein „Delivery at Aircraft“ genannten – Service: Wer diesen vorab anfragt, kann mit dem Rollstuhl bis an die Flugzeugtür fahren und erhält diesen nach der Reise dort auch zurück. In Olbrichs Fall aber verschwand der Rollstuhl, nachdem sie ihn beim Einstieg abgegeben hatte – und das, obwohl sie noch im Flieger zweimal nachgefragt habe, ob er verladen worden sei, erzählt sie.

Am Ende blieb der verärgerten Kundin nichts anders übrig, als eine Verlustanzeige aufzugeben – und zu warten. Dass sie sich am Schalter noch anhören musste, eine priorisierte Lieferung sei nicht möglich, weil alle Logistik-Termine ausgebucht seien, passte da ins Bild. „Ich hätte erwartet, dass sofort jemand von der Lufthansa kommt, sich entschuldigt und sich hinter die Sache klemmt“, sagt Olbrich. Sie ist enttäuscht, nicht mal eine:n Ansprechpartner:in bei der Lufthansa bekommen zu haben.

„Grundsätzlich“ würden Fluggäste „pro-aktiv informiert, wann ihr verspätetes Gepäck ausgeliefert wird“, schreibt die Lufthansa auf die Frage, an wen sich behinderte Kund:innen in dringlichen Fällen wenden können. Außerdem könne man den Suchstatus online einsehen oder im Baggage Callcenter anrufen. Für Schäden an den Rollstühlen komme man auf, auch einen Leih-Rollstuhl zahle man als Überbrückung. Geht ein Rollstuhl gänzlich verloren, wird der Zeitwert erstattet.

Nach zwei Tagen, am 30. August um 20.16 Uhr, war es schließlich geschafft. Ein Lieferdienst hatte den verlorenen Rollstuhl von Frankfurt nach Karlsruhe geschafft. Eine offizielle Entschuldigung von der Lufthansa hat Sandra Olbrich bis heute nicht bekommen – bis auf einen Twitter-Kommentar und die netten Worte der Crew. Sie hat nun offiziell Beschwerde eingereicht und sagt: „Mir ist es wichtig, dass der Fall dokumentiert wird und die Lufthansa ihre Prozesse ändert, damit sowas nicht nochmal passiert.“ (Alexander Gottschalk)