Berlin will Scooter langfristig von Gehwegen verbannen. Der Fuss e.V. hält die Regeln für zu schwammig. Behinderte warnen vor Gefährdung durch die Roller.
Der Ort war gut gewählt. Unter den Linden, Ecke Wilhelmstraße. Massenhaft E-Scooter verschiedenster Anbieter stehen oder liegen hier herum. Ein Bündnis aus sechs Organisationen – Senioren, Behinderte und Fußgänger – forderte vor dieser Kulisse am Donnerstag: „E-Scooter runter vom Gehweg.“ Alexander Ahrens hatte ein Plakat an seinen Rollstuhl gehängt: „Unregulierte Spaßmobilität gefährdet behinderte Menschen“.
Am Dienstag hatte Berlins Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) die Änderungen des Berliner Straßengesetzes vorgestellt, die ab 1. September 2022 gelten. Laut Senat soll „die Sharing-Mobility in der Hauptstadt künftig organisiert werden“. Dazu hatte das Abgeordnetenhaus im August 2021 das Berliner Straßengesetz geändert.
Die Verkehrsverwaltung nennt mehrere Gründe für die neuen Regeln, zum Beispiel das Freihalten der Gehwege von E-Tretrollern, mehr Carsharing-Fahrzeuge mit Elektro-Antrieb und eine Ausweitung sämtlicher Sharing-Angebote auf die Außenbezirke Berlins. (Die Regeln des Senats können Sie hier nachlesen.)
„Sharing-Mobilität spielt eine wichtige Rolle für die Mobilitätswende, braucht aber in Großstädten mit begrenztem Platz auch klare Regeln“, sagte Jarasch.
Die wichtigste Regel lautet: Für E-Tretroller und für Leih-Fahrräder soll es mehr ausgewiesene Abstellflächen auf bisherigen Kfz-Parkplätzen geben – dann gilt in deren Umfeld ein Abstellverbot.
Im Umkehrschluss heißt das: Überall sonst darf weiter der Gehweg vollgestellt werden. Einen Zeitplan nennt die Verwaltung nicht. Jarasch sprach nur davon, die „Ziele sukzessive zu erreichen“.
Das ist dem Bündnis um Fuss e.V. deutlich zu langsam. „Es drohen auf Berlins Gehwegen weitere 15 Jahre Chaos“, sagte Bündnis-Sprecher Roland Stimpel. So können die Geräte „noch unabsehbar lange auf Gehwegen abgestellt“ werden, sagt Stimpel, auch fehle eine Höchstgrenze für die Zahl der E-Scooter.
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„Die Stadt kann weiter hemmungslos geflutet werden“, sagte Stimpel. Nach seinen Angaben vertritt das Bündnis eine Million Menschen in Berlin. Stimpel kritisierte, dass die Verleihfirmen und ihre Kunden Vorrang vor den „Sicherheits- und Mobilitätsbedürfnisse von Millionen Menschen in Berlin“ hätten.
Die blinde Bedia Kunz berichtete, wie sie Ende Mai über einen Scooter gestürzt sei, der nah bei ihrer Friedenauer Wohnung im Weg stand. Sie erstattete Anzeige – und erfuhr bei der Polizei, dass der Scooter dort stehen durfte. Daran wird sich auch mit dem neuen Gesetz nichts ändern. Rollstuhlfahrer Ahrens Ahrens berichtete, dass der Gendarmenmarkt so vollgestellt sei mit Rollern und Rädern, dass er auf der Straße fahren müsse.
Bündnis-Sprecher Roland Stimpel fordert deshalb: Nur mit festen verbindlichen Abstellplätzen dürften E-Scooter erlaubt sein. Als Vorbild nannte Stimpel Metropolen in aller Welt, die den Verleih beschränkt oder ganz verboten haben – etwa Paris, Madrid, Barcelona, Mailand und San Francisco. In Singapur wurde er komplett untersagt, in Kopenhagen in der gesamten Innenstadt. Amsterdam habe den Verleih nie erlaubt.
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In Berlin gebe es bislang kaum feste Stationen für die E-Roller, bemängelt das Bündnis, der Ausbau erfolge viel zu langsam. Paris habe das Problem mit 1400 Stationen für 20.000 Roller schnell in den Griff bekommen.
Berlin würde es „beim heutigen Tempo erst in 15 Jahren“ schaffen. Das Bündnis sieht in den Plänen einen Verstoß gegen Paragraf 11 des Berliner Straßengesetzes: „Die Erlaubnis soll versagt werden, wenn Menschen mit Behinderung durch die Sondernutzung in der Ausübung des Gemeingebrauchs erheblich beeinträchtigt würden.“
Die Verkehrsverwaltung betonte, dass die Regelungen noch nicht in allen Details feststehen, man verhandele weiter mit den Anbietern. Ab dem 1. September gebe es die rechtliche Grundlage, dass sämtliche Sharing-Angebote auf öffentlichem Straßenland – wie alle anderen Gewerbe auch – eine so genannte Sondernutzungserlaubnis samt entsprechender Gebühren benötigen. Diese Erlaubnis muss beantragt und genehmigt werden.
Auflagen und Anreize können dann in sogenannten Nebenbestimmungen oder über die Gebührenhöhe später definiert werden, hieß es in einer Mitteilung der Verwaltung.
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